Bericht
Unsere Reise nach Madagaskar beginnt Mitte Oktober an einem Tag, der in Freiburg kühl und sonnig, in Amsterdam kalt und nass und in Nairobi schwül und bedeckt ist. Das sind die Flughäfen und Städte, die wir sehen, bevor wir in Antananarivo, der Hauptstadt Madagaskars, in einem abziehenden Gewitter landen. Nach einem weiteren Flug, etwa zwei Stunden in die Hafenstadt Fort Dauphin im Süden der Insel, und nach einer sechsstündigen Fahrt mit einem klapprigen Bus, sind wir endlich an unserem Ziel. Das Dorf Berenty liegt zwischen Sisalfeldern, die sich buchstäblich bis zum Horizont erstrecken. Es ist eine Ansammlung aus Lehmhütten, Holzverschlägen und ein paar wenigen Steinhäusern mit Wellblechdächern, um die sich ein Wall aus Kakteen zieht.
Unser Team ist zum zweiten Mal hier. Vier Jahre zuvor waren wir bereits in ähnlicher Konstellation und ebenfalls mit Planet Action an diesem Ort, um zahnärztliche Entwicklungszusammenarbeit zu leisten. Damals haben Marie-Louise, Samira, Svenja und Tim noch studiert, heute arbeiten sie in München und Freiburg als angestellte Zahnärzt:innen. Andre und Michael, für den es sogar bereits der dritte Einsatz in Berenty ist, waren und sind als langjährig erfahrene Zahnärzte dabei.
In den letzten vier Jahren hat sich hier nicht viel verändert. Unsere Praxis, ein Steinhaus am Rande des Dorfes, ist etwas eingestaubt, aber ansonsten genauso wie bei unserem letzten Besuch. Zwei Behandlungsstühle stehen da; sie sind unveränderbar in ihrer Position eingefroren. Strom gibt es nur tagsüber, wenn die Generatoren laufen. Manchmal weht der Wind Sand hinein und bedeckt unsere improvisierten Behandlungsstühle und Instrumente mit einer dünnen Schicht Staub. Darin, wie zum Kontrast, steht in glänzendem Stahlblau ein nigelnagelneuer Autoklav. Er passt nicht so richtig hierhin, aber er tut, was er soll. Bené, eine Belgierin, die hier in Berenty ein Reservat betreibt, hat den Autoklaven angeschafft, genau für solche Einsätze wie unseren. Aber auch, um die Arbeit der zwei jungen Krankenschwestern zu ermöglichen, die die Krankenstation fortan betreiben sollen. Jetzt helfen Victoria und Sandy uns. Sie dokumentieren unsere Patienten, assistieren, reinigen Instrumente und wissen schon bald ganz genau, welche Materialien wir wann benötigen.
Unsere Arbeit besteht vornehmlich aus Zahnextraktionen. Über sechshundert Patienten behandeln wir in den zwei Wochen in Berenty. Manche Patienten erkennen wir tatsächlich wieder von unserem letzten Einsatz. Als wir ihnen Bilder von unserem ersten Besuch zeigen, sind sie ganz aufgeregt, wenn sie sich darauf wiedererkennen.
In unserer ersten Woche besuchen wir die Schule, die ebenfalls von Bené unterstütz wird. Die Kinder bekommen hier jeden Tag eine Mahlzeit und werden einmal in der Woche gewogen, um Mangelernährung frühzeitig zu erkennen. Tatsächlich erscheint es uns im Vergleich zum letzten Mal, als seien zumindest die Kinder hier etwas besser genährt. Auch ist der zahnärztliche Behandlungsbedarf deutlich geringer und einige Kinder können wir nach einer Zahnputzübung entlassen, ohne dass Zahnextraktionen notwendig sind.
Unser Übersetzter, Mahafaka, ist ein junger Madagassi, der aus Fort Dauphin kommt und normalerweise Touristen durch die Dornenwälder führt, um ihnen die Makis, Chamäleons und Vögel zu zeigen. Wenn wir mit ihm in der Dunkelheit unterwegs sind, entdeckt er immer wieder leuchtende Augenpaare von Tieren, die so gut versteckt sind, dass sie uns sogar bei Tageslicht entgangen wären. An einem Tag zeigt er uns, wie er lebt. Sein Haus ist eines der wenigen aus Stein. Es steht etwas erhöht, damit es bei Regen nicht unterspült wird. Eigentlich ist es nur ein einzelner Raum, der soeben Platz für ein Bett und einen Tisch bietet, aber es ist viel mehr, als die meisten anderen Menschen hier haben und darauf ist Mahafaka stolz. Am liebsten möchte er, das erzählt er uns, während er dort in seinem Häuschen steht, irgendwann nach Amerika auswandern. Vielleicht auch nach Deutschland.
Zusammen mit Mahafaka unternehmen wir an einem Abend einen Ausflug zu den Baobabbäumen. Sie stehen wie Säulen vor einem Himmel, der sich erst blau, dann orange, dann lila färbt. Warum diese Bäume ein Markenzeichen Madagaskars geworden sind, versteht man bei diesem Anblick sofort. Wie alt sie sind, weiß Mahafaka nicht, aber es werden immer weniger. Intensivere Bodennutzung durch Plantagen und Raubrodungen bedrohen den Bestand. Auch hier unter den Baobabbäumen, mitten im Nirgendwo, gehen ein paar Einheimische neugierig auf uns zu. Mahafaka erklärt, dass wir Zahnärzt:innen sind und tatsächlich kommen ein paar von ihnen am nächsten Tag in unsere Behandlung, obwohl sie dafür sicherlich mehrere Stunden gelaufen sein müssen.
Am Ende unseres Einsatzes haben wir sechshundert Patienten behandelt, über 1100 Zähne gezogen und etwa zweihundert Füllungen gemacht. Wir packen die Materialien zusammen, verabschieden uns von Victoria, Sandy und Mahafaka und machen uns wieder auf den Rückweg Richtung Deutschland. Drei Tage dauert es, bis wir wieder zuhause sind, aber noch bevor wir landen, beginnen wir, den nächsten Einsatz zu planen.