Bericht
Unser Abenteuer beginnt am Freitag, den 18.09.23 bereits 3 Uhr morgens auf dem Weg zum Flughafen. Wir beide, Alina und Nathalie (beide Studentinnen der Uni Erlangen), sind voll bepackt mit zahnmedizinischen Spendenmaterialien und Instrumenten, die unser Einsatzteam in den letzten 6 Monaten organisiert hatte. Am Check-In-Schalter werden wir erst einmal verwundert angeschaut und gefragt, wo genau denn dieses „Antananana… wie auch immer?“ sei. Wir müssen beide lachen, denn auch wir mussten sehr lange üben den Namen der Hauptstadt Madagaskars „Antananarivo“ auszusprechen. Direkt ist das Interesse geweckt und nach einem kurzen Gespräch, was wir denn dort machen würden, sind wir froh, dass unser Gepäck trotz Übergewicht einfach durchgewunken wird. Insgesamt sind es rund 130kg, die wir dabeihaben.
Nach ca. 17 Stunden Flug landen wir mitten in der Nacht in Tana, wie die Madagassen liebevoll ihre Hauptstadt nennen und fahren mit einem Taxi ins Hotel. Im Laufe des Tages treffen auch die restlichen Teammitglieder ein, sodass wir uns nach zahlreichen Vorbereitungstreffen in den letzten 6 Monaten über Zoom nun endlich persönlich kennenlernen dürfen. Das zwölfköpfige Team besteht aus Zahnärzt:innen und Helfer:innen aus der Schweiz, Markt Rettenbach, Duisburg und Mannheim, aus zwei gerade examinierten Studenten aus Varna und uns beiden Studenten aus Erlangen.
Am nächsten Morgen trifft sich das Team bereits am frühen Morgen mit all den Koffern voller Materialien, um zu „Soltec“ zu fahren, einer Ausbildungsstätte des Deutsch-Madagassischen-Verein-Esslingen DMVE e.V. Hier werden wir die nächsten beiden Wochen verbringen. Um die Koffer nicht schleppen zu müssen, haben wir von Soltec einen Fahrer organisiert bekommen, der aber leider nicht kommt. Nach der deutschen akademischen Viertelstunde kommt etwas Unruhe auf, sodass wir beschließen einmal vorsichtig nachzufragen. Als Antwort bekommen wir nur ein „Mora Mora“, was auf Madagassisch so viel heißt wie „immer mit der Ruhe, bloß keine Hektik“ und werden darüber aufgeklärt, dass dies noch keine Unpünktlichkeit und in Madagaskar ganz normal sei.
Eine halbe Stunde später kommt der Fahrer dann und wir beginnen den Tag.
Bei Soltec angekommen bekommt das Team zuerst das kleine Büro gezeigt, das kurzerhand umfunktioniert wird. Es werden Tische als Patientenliegen und Ablageflächen hineingestellt und der Raum dient uns die nächsten Wochen als unsere „kleine Praxis“. Im Anschluss bekommen wir eine Einführung durch die Schule Soltec, einem Projekt, das Waisenkindern und Kindern aus armen Verhältnissen ermöglicht eine handwerkliche Berufsausbildung zu machen. Der Zugang zu Bildung und dementsprechend eine Zukunft mit Perspektive ist in Madagaskar keineswegs selbstverständlich, sodass die Jugendlichen und jungen Erwachsenen uns stolz mit leuchtenden Augen ihre Ausbildungsstätten zeigen.
Danach gibt es erst einmal Frühstück. Bekocht werden wir von den Schüler:innen bei Soltec, die dort eine Ausbildung als Koch bzw. als Köchin absolvieren und uns die nächsten 14 Tage mit madagassischen Klassikern, aber auch dem ein oder anderen deutschen Gericht, verwöhnen und überraschen werden würden.
Gut gestärkt war schnell die „mobile Praxis“ eingerichtet und die, dank der ganzen Spenden reichlich vorhandenen, Materialien sortiert und aufbereitet. Sterilisiert wird mit einem Drucktopf auf dem Küchenherd, die Instrumente zuvor von Hand im Küchenwaschbecken geputzt. Fließendes Wasser ist nicht immer vorhanden, sodass teilweise Zwangspausen eingelegt werden müssen, bevor weiter sterilisiert werden kann. Die sehr einfachen Verhältnisse spiegeln sich auch in den improvisierten Behandlungseinheiten wider, an denen teils im Knien oder in der Hocke behandelt wird, Gas für den Bohrer durch die Assistenz gegeben werden muss, das Licht nur in Form von Stirnlampen vorhanden ist und Materialien aufgrund des Platzmangels im Koffer gelagert werden. Trotz der erschwerten Bedingungen werden in den kommenden Wochen dank des motivierten Teams und viel Kreativität Zähne repariert, Patient:innen von Zahnschmerzen befreit und hinsichtlich Mundhygiene aufgeklärt.
Schnell sind die ersten madagassischen Wörter gelernt: „Salama“, was Hallo heißt und „Maharary Nify“, auf Deutsch Zahnschmerzen. Da viele nicht einmal Französisch sprechen, hilft uns eine Schülerin von Soltec bei der Übersetzung, die überraschenderweise sehr gut Deutsch spricht. Trotz der Sprachbarriere wird uns von den Madagass:innen sehr viel Vertrauen entgegengebracht. Geduldig warten diese auf ihre Behandlungen, teilweise sitzen sie bereits morgens ein bis zwei Stunden vor Behandlungsbeginn bereit. Im Fokus stehen vor allem Schmerzbehandlungen, sodass vor allem Zähne und Wurzelreste gezogen werden. Vereinzelt können Zähne gerettet und mit Füllungen versorgt werden. In den kommenden Tagen sehen wir die unterschiedlichsten Befunde, jedoch teils auch beunruhigende Dinge. Oft belassen die Zahnärzt:innen vor Ort, die Wurzelreste im Kiefer, um Knochenrückgang zu verhindern und setzen die Prothesen darüber ein, was eine fulminante Entzündung zur Folge hat und sich mit starken Schmerzen bei den Patient:innen äußert. Teilweise sind Prothesen fest eingeklebt, viele Patient:innen leiden unter starken Rezessionen und parodontalen Problematiken und sogar siebenjährige Kinder haben bereits vollkommen zerstörte 6-Jahres-Molaren. Neben den Behandlungen machen wir im „Wartezimmer“ auf den Bänken im Schulhof immer wieder Prophylaxe-Veranstaltungen, in denen wir die Patient:innen über Ernährung und Putztechniken für eine gesunde Mundhygiene aufklären. Im Anschluss an die Behandlung erhalten alle von uns eine Zahnbürste und -pasta, damit das neu Gelernte auch gleich umgesetzt werden kann.
Nach zweiwöchiger Arbeit, ca. 600 behandelten Patient:innen, 1100 extrahierten Zähnen und einigen Füllungen, heißt es erneut Koffer und Materialien einpacken, um zum nächsten Einsatzort in den Osten von Tana zu fahren. Die folgenden zwei Wochen werden wir Gäste des Projekts der NGO Manda sein, das vom Deutschen Verein Zaza Faly e.V. aus Berlin unterstützt wird. Manda heißt auf Madagassisch so viel wie „Festung“. Hier wird Straßenkindern kostenlos der Zugang zu Bildung ermöglicht, um diese im Sinne einer Vorschule auf die staatliche Schule vorzubereiten und Entwicklungsdefizite aufzufangen und zu kompensieren.
Neben der Teilnahme an dem Schulprogramm und der Alphabetisierung werden die Kinder auch über Sexualität und Drogen aufgeklärt, die Grundprinzipien von Hygiene, zu denen auch das Zähneputzen gehört, werden nahegebracht und eine medizinische Versorgung ermöglicht.
Am ersten Behandlungstag werden wir stürmisch von den Kindern begrüßt, die lachend auf uns zulaufen, uns Umarmen, an uns hängen und am liebsten direkt mit uns spielen würden. Die erste Vorfreude ist jedoch schnell vorbei, als die Kinder zu uns zu den Behandlungen kommen sollen. Ein Zahnarztbesuch ist für die meisten Kinder etwas vollkommen Unbekanntes, sodass uns anfangs sehr viel Skepsis entgegengebracht wird. Viele haben Angst, sodass vor und während den Behandlungen einige Tränen fließen. Die meisten Kinder sind jedoch leicht wieder zum Lachen zu bringen, indem wir Handschuhe aufpusteten und Gesichter darauf malen. Nach der Behandlung erhält jedes Kind eine Zahnbürste, eine Zahnpasta und einen Ballon, was für die Kids ein Highlight ist, da Ballons auf Madagaskar verhältnismäßig teuer sind. Das stellt einen kleinen Anreiz dar und nachdem die ersten Kinder heil wieder aus dem Klassenzimmer herauskamen, kommen immer mehr Kinder freiwillig (vermutlich auch ein wenig wegen der Luftballons 😊). In den folgenden Wochen wird uns von den Kindern viel Vertrauen geschenkt und wir dürfen erfreulicherweise feststellen, dass das tägliche gemeinsame Zähneputzen der Lehrer:innen mit den Kindern sich bezahlt macht. Viele Kinder haben lediglich kleine Kavitäten und einen für dortige Verhältnisse guten Mundhygienezustand. Immer mehr Kinder kommen neugierig und schauen interessiert zu, was wir machen. Der auch hier fehlende Zugang zu einer medizinischen Versorgung zeigt sich in Kindern, die, als man Sie nach Allergien fragt, nur antworteten mit „Wo denn?“, Kindern, die große Augen bekommen, als die Zunge und Backe aufgrund der Lokalanästhesie taub wird und erstaunten Blicken, weil Behandlungen nicht weh tun, wenn man eine Betäubung bekommt. Auch hier machen wir Prophylaxe-Veranstaltungen in Zusammenarbeit mit den Lehrer:innen, um die Motivation zum Zähneputzen der Kids nochmals zu bekräftigen. Wir färben mit Plaqueanfärbemittel die Zähne, jedes Kind bekommt eine Zahnbürste und -pasta und dann wird tanzend mit Musik geputzt. Viele Kinder helfen sich gegenseitig,zeigen sich, wo noch lila Stellen sind, und putzen sich gegenseitig die Zähne. Danach kommen sie freudestrahlend und stolz wieder zu uns, um zu zeigen, wie weiß die Zähne nun sind. Als Belohnung verschenken wir an die Kinder Ballons, was in einer Ballon-Party mit jauchzenden, lachenden Kids, in einem Meer aus bunten Luftballons endet. Als wir am nächsten Tag wieder in die Schule kommen, laufen die Kinder direkt auf uns zu, um uns zu zeigen, dass sie heute früh direkt die Zähne geputzt haben. Im Laufe der zwei Wochen putzen wir immer wieder mit den Kindern Zähne und es ist schnell ein Fortschritt erkennbar. Wir hoffen sehr, dass diese Freude und Motivation erhalten bleibt.
Am Ende der zwei Wochen, Ca. 300 Patient:innen, 250 gezogene Zähne und 50 Füllungen später, hatten nicht nur die Kinder uns, sondern wir auch diese sehr in unser Herz geschlossen, sodass uns der Abschied schwerfällt. Zur Verabschiedung singen die Kinder für uns, führen eine kleine einstudierte Choreografie auf und wir werden mit einem riesigen selbst gemalten Bild beehrt.
Zusammenfassend lässt sich sagen: eine unglaubliche Erfahrung, die ein Gefühl von Dankbarkeit hinterlässt.
Uns wurde mit viel Offenheit, Herzlichkeit und Dankbarkeit begegnet und so unfassbar viel Geduld, Freundlichkeit und Vertrauen entgegengebracht. Wir konnten uns in Gesprächen austauschen und viele Emotionen und Gedanken teilen, die wir nicht mehr missen möchten.
Ein großes Dankeschön an das Einsatzteam mit all den einzigartigen Charakteren, die wir kennenlernen durften, Danke an Planet Action e.V., dass wir diesen Einsatz mit euch machen konnten und an alle Übersetzer:innen und Helfer:innen vor Ort, den Projektpartnern Soltec und ONG Manda, die sich keiner Arbeit zu Schade waren. Ohne euch hätte der Einsatz nicht annähernd so gut funktioniert.
Ein großes Dankeschön gebührt zudem den zahlreichen Sponsoren. Danke, dass Sie das Team, den Verein Planet-Action, aber vor allem die Kinder und Erwachsenen vor Ort unterstützt haben. Misaotra, Merci Beaucoup und vielen herzlichen Dank!
Alles in allem eine unvergessliche, großartige Zeit und eine wärmste Empfehlung an jeden Interessierten Teil von diesem großartigen Projekt zu werden!