Bericht
Das „Abenteuer Madagaskar“ beginnt für uns an einem Freitagnachmittag. Wir, das sind Alena, Doreen, Svenja, Melina, Vanessa und Caroline, treffen uns in der Abflughalle des Frankfurter Flughafens. Nachdem wir unsere jeweils zwei großen Gepäckstücke, prall gefüllt mit Materialspenden, aufgegeben haben, folgt das übliche Prozedere: Sicherheitskontrolle, Boarding, und schließlich geht es auf die Startbahn – Madagaskar wir kommen!
Nach insgesamt vierzehn Stunden Flug, mit Umstieg in Äthiopien, haben wir unser Ziel endlich erreicht. Vor dem Flughafen werden wir bereits von dem Koch „Radu“ der Berufsausbildungsstätte „Soltec“, unserer ersten Station bei diesem Hilfseinsatz, erwartet. Nach ca. zwanzig Minuten Fahrzeit erreichen wir die Schule, wo wir von dem Schulleiter herzlich empfangen werden und unsere Unterkunft für die erste Woche beziehen. Bei einer kleinen Besichtigung bekommen wir einen ersten Eindruck von der Schule mit ihren sieben verschiedenen Ausbildungsstätten. Jugendliche und junge Erwachsene, die als Waisen oder in sehr armen Verhältnissen aufwachsen, bekommen hier die Möglichkeit eine Ausbildung zu machen. Eine Zukunft mit Perspektive, das haben in Madagaskar nur sehr wenige. Umso mehr sehen wir, wie froh und stolz jeder Einzelne bei „Soltec“ für diese Chance ist.
Am nächsten Tag machen wir uns an den Aufbau unserer „Praxis“. In dem Raum, welcher u.a. auch als Materiallager für Planet Action dient, beginnen wir damit, die Materialien zu sortieren, unseren „Steri“ aufzubauen, Liegen aufzustellen und erste wichtige Worte für die zahnärztliche Behandlung zu lernen. Das Wort „Maharari“ (dt. Schmerzen) haben wir schnell drauf, denn es ist immer das Erste, wonach wir bei der Patientenbehandlung in den nächsten Tagen fragen. An unserem ersten „Arbeitstag“ nehmen wir an einem kurzen Gottesdienst teil, der im Innenhof der Schule stattfindet. Anschließend werden wir den Schülerinnen und Schülern vorgestellt, die uns mit einem Applaus empfangen. Sie sind in mehrere Gruppen aufgeteilt, sodass wir am Tag ca. zwanzig Patienten am Vormittag und zwanzig am Nachmittag behandeln. Geduldig sitzen sie jeden Morgen auf Bänken vor unserer Praxis und warten… teilweise schon seit 7 Uhr, obwohl es erst um 9 Uhr losgeht. Geduld haben sie, die Madagassen!
Nach unserem ersten Behandlungstag sind wir von den vielen neuen Eindrücken, dem größtenteils sehr schlechten Gebisszustand der Patienten und den erschwerten Arbeitsbedingungen erschöpft und überlegen, wie wir dem hohen Behandlungsbedarf gerecht werden können. Motiviert und mit neuer Energie starten wir in den nächsten Tag. In erster Linie führen wir Schmerzbehandlungen durch. Dabei sind es v.a. diverse Wurzelreste, die darauf warten, extrahiert zu werden. Natürlich machen wir auch ein paar Füllungen und bemühen uns um die Aufklärung der Zahnhygiene, indem wir morgens „Zahnputzdemos“ durchführen. Außerdem bekommen die Patienten nach jeder Behandlung Zahnbürste und Zahnpasta, sodass sie das neu Gelernte auch direkt umsetzen können!
Mittags und abends werden wir von den „Ausbildungs-Köchen“ mit leckeren Speisen wie einem Avocado-Salat oder Fruchtspießen mit Schokoladensoße verwöhnt! Den Tag lassen wir dann bei entspanntem Zusammensitzen, mit einem Gläschen Rum und einer Partie Kniffel, ausklingen. Am letzten Abend kriegen wir als kleines „Abschluss-Highlight“ Besuch von einem ungebetenen Gast. Eine Ratte hat es sich doch tatsächlich auf unserem Sofa gemütlich gemacht! In dieser Hinsicht gut, dass es unser letzter Tag war. So fällt uns der Abschied nicht ganz so schwer. Insgesamt war die Unterkunft aber wirklich schön und die Sauberkeit vollkommen in Ordnung.
Am Samstag ist unsere Zeit bei „Soltec“ leider schon vorbei und es geht mit unserer „provisorischen Praxis in Koffern“ weiter auf die andere Seite der Hauptstadt. Dort werden wir in unserer nächsten Unterkunft „La Maison du Pyla“ schon von der liebenswürdigen Hausdame „Madame Fanja“ empfangen. Unsere Zimmer sind geschmackvoll eingerichtet, sauber und die Dachterrasse der absolute Hammer! Einem entspannten Nachmittag mit traumhaftem Blick über Tana steht hier nichts mehr im Wege. Das Duschen wird hier für uns jedoch zu einer besonderen Erfahrung. Jeden Abend erwarten uns von nun an zwei große Eimer mit jeweils kaltem und heißem Wasser. Waschen mit Schöpfkellen, das geht! Fließendes, warmes Wasser aus der Leitung ist für uns in Deutschland selbstverständlich. In Madagaskar keinesfalls. Hier kann es immer wieder vorkommen, dass die Wasserversorgung eingeschränkt ist. Ebenso sieht es mit der Stromversorgung aus. Bei einem Einkauf im Supermarkt kann es hin und wieder passieren, dass man von plötzlicher Dunkelheit überrascht wird. Dies durften wir einmal selbst miterleben.
Nachdem wir uns den Samstag etwas ausgeruht haben, machen wir uns auf einen kleinen 5-minütigen Spaziergang durch kleine Gassen, vorbei an Marktständen, zu unserem nächsten Einsatzort „Manda“. Dies ist eine Tageseinrichtung für Kinder, die auf der Straße leben. Sie werden hier gewaschen, bekommen Essen und erhalten Schulunterricht. „Bewähren“ sich die Kinder, so haben sie später die Chance, in eine Einrichtung zu kommen, wo sie auch übernachten können.
Den Nachmittag verbringen wir mit der Einrichtung unserer neuen Praxis, die dieses Mal ein Klassenzimmer ist. Das Lehrerpult und die anderen Tische werden umfunktioniert zu Patientenliegen und Ablageflächen. Die Koffer mit den Materialien werden ausgepackt und ein geeigneter Ort für unseren „Steri“ gesucht. Dies gestaltet sich hier etwas schwieriger als bei „Soltec“. Zum Abkochen der Instrumente müssen wir die Kochplatten in der Küche nutzen und das Säubern erfolgt am Waschbecken auf der Toilette. Anders ist es nicht möglich.
Als wir dann am Montagmorgen zu unserem ersten „Arbeitstag“ bei Manda ankommen, werden wir stürmisch und herzlich von den Kindern empfangen. Sie laufen hemmungslos auf uns zu, berühren und umarmen uns. Von so viel Freude und Herzlichkeit sind wir ganz überwältigt.
Unser Team ist mittlerweile um zwei Mitglieder gewachsen, Ellis und Ullrich unterstützen uns von nun an tatkräftig. So starten wir bei Manda morgens mit einer Putzdemonstration und Aufklärung zur Kariesentstehung. Zucker lieben die Kids dort genauso wie hier in Deutschland. Als sie hören, dass sie darauf möglichst verzichten sollen, geht ein grummiges Raunen durch die Menge… Die nächsten Tage versuchen wir den Kindern das neu Erlernte mit gemeinsamen „Zahnputz-Aktionen“ noch näher zu bringen. Diese machen den Kindern und uns unheimlichen Spaß, enden allerdings in einer großen Sauerei, da die Kids ihre Zahnpasta-Reste alle auf den Boden spucken. Nun gut, wir lernen ja auch dazu. Beim nächsten Mal haben wir Spuckeimer parat.
Auch bei den Kindern gibt es leider schon sehr viel zu extrahieren. Es tut weh, den ersten bleibenden Backenzahn bei einem Zehnjährigen Kind zu ziehen. Aber wenn dieser bereits vollständig kariös zerstört ist, bleibt uns nichts anderes übrig. Wir machen uns dann immer wieder bewusst, dass wir ihnen, unter Berücksichtigung der örtlichen Bedingungen, Gutes tun und helfen. Manchmal gibt es auch Zähne, die wir mit Füllungen retten können, was uns natürlich sehr freut!
Insgesamt sind die Kinder unglaublich tapfer. Wenn man erstmal ihr Vertrauen gewonnen hat, halten sie die Behandlung mutig und ohne mit der Wimper zu zucken durch! Da wir die Kinder recht zeitig alle durchsaniert haben, bleibt noch Zeit auch einige Eltern der Kinder zu behandeln. Diese zeigen sich sehr dankbar und erfreut über unsere Mühen!
Am letzten Tag singen uns die Kids als Dankeschön etwas und überreichen jedem von uns ein kleines Bild mit unserem Namen. Der Abschied ist sehr rührend und emotional. Weinende Kinder lösen auch bei uns ein paar Tränen aus. Wir haben die Kinder in dieser kurzen Zeit sehr lieb gewonnen und ins Herz geschlossen. Mit vielen bunten Luftballons, die wir in die Menge werfen, wollen wir ihnen unsere Dankbarkeit zeigen.
Zeit für ein bisschen Abenteuer gibt es natürlich auch! So nutzen wir unseren freien Sonntag zwischen den beiden Wochen für einen Ausflug in die Umgebung Tanas. Wir besuchen den „Lemuren-Park“ und die Wasserfälle „Chutes da la Lily“. Dort unternehmen wir eine kleine Wanderung entlang des Flusses, durch traumhaft grüne Reisfelder, vorbei an atemberaubend schöner Natur. Auf unserem Weg werden wir von einem plötzlichen Gewitter und Starkregen überrascht, sodass wir am Ende pitschnass an unserem Auto wieder ankommen. Doch damit nicht genug, das Abenteuer geht noch weiter. Die Straßen in Madagaskar gehören nicht zu den Besten und auf unserem Rückweg bleiben wir mit unserem Auto im Schlamm stecken. Einheimische helfen uns aus der Misere, indem sie unseren Jeep mit aller Kraft anschieben. Nach 5 Stunden Autofahrt und jeder Menge „Traffic“ (das kommt in Madagaskar häufiger mal vor…), kommen wir dann endlich wieder im „Maison du Pyla“ an, wo wir schon mit einem leckeren Essen von Madame Fanja erwartet werden. Trotz allem ist dies ein wirklich toller und unvergesslicher Tag, der am Abend noch mit einer Partie „Wizard“ und einem Gläschen Rum gekrönt wird.
Nach den ersten beiden Wochen ist die Zeit für Doreen und Caroline schon wieder vorbei. Dafür bekommt unsere Gruppe Verstärkung von Louisa und Fabian. Für Woche drei und vier geht es dann in das Reservat „Akanin’ny Nofy“, das auf einer Halbinsel im Osten Madagaskars liegt. Nach 7 Stunden Autofahrt, 7 km Offroad-Strecke und 1,5 Stunden Bootsfahrt erreichen wir es endlich. Dort angekommen, werden wir zunächst mit leckeren Cocktails begrüßt. Nach einem kleinen Rundgang innerhalb unserer Unterkunft „Bushhouse“ beziehen wir unsere Bungalows direkt am Wasser. Nur für einen einigermaßen guten Internetempfang müssen wir auf einen kleinen Hügel wandern. Den Sonntag nutzten wir zum Entspannen, wobei zwei von uns die Zeit mit „Extreme Sailing“ verbringen.
Von Sonntag auf Montag ändert sich unsere Situation schlagartig. Die madagassische Regierung gibt an, ab dem 20.03.2020 die Ein- und Ausreise aufgrund der Corona-Krise stark einzuschränken. So müssen wir überstürzt einen neuen verfrühten Rückflug buchen.
Wir nutzen den restlichen Montag und fahren mit einem kleinen Boot entlang einer traumhaften Kulisse zu dem kleinen Dorf „Ambodiyontaka“, in dem wir in dieser Woche behandelt hätten. Hier verteilen wir unsere mitgebrachten Spenden, wie Zahnbürsten, Zahnpasta und Spielsachen. Die entgegengebrachte Dankbarkeit und die strahlenden Kinderaugen machen es uns noch schwerer, so früh wieder abreisen zu müssen. Auf dem Rückweg können wir noch schnell einen sehr spaßigen, kurzen Abstecher zum und in den Indischen Ozean machen. Kaum richtig angekommen, fahren wir am Dienstagmorgen direkt wieder den langen Weg in die Hauptstadt zurück. Donnerstag sitzen wir dann auch bereits wieder im Flugzeug in Richtung Heimat. Durch die Krisensituation angespannt und erleichtert landen wir - manche früher, da sie direkt fliegen können, manche später, da sie noch einen mehrtägigen Aufenthalt in Äthiopien haben - wieder in Deutschland.
Alles in allem kann man eines aber auf jeden Fall festhalten: Beim Zähne ziehen macht uns niemand mehr etwas vor! Das Behandeln unter den erschwerten bzw. besonderen Bedingungen hat uns allen unheimlich viel Spaß gemacht und die Kreativität angeregt. Wir konnten uns gegenseitig austauschen, den Menschen wieder ein Lächeln ins Gesicht zaubern und einiges an neuen Erfahrungen gewinnen. Diese unglaubliche Tapferkeit, Geduld und Freundlichkeit, die uns während der gesamten Zeit entgegen gebracht wurde – unglaublich!
Ein großes Dankeschön an Planet Action, dass wir mit euch die Möglichkeit hatten, diesen Hilfseinsatz zu leisten. Danke an die netten Übersetzer, die uns bei der Kommunikation mit den Menschen sehr geholfen haben und tausend Dank an dieses großartige Team – es war eine tolle und unvergessliche Zeit mit euch! Madagaskar, wir kommen auf jeden Fall nochmal wieder!