Bericht
Lautes Grölen bricht uns entgegen, als wir den Klassenraum betreten. Dreißig, vielleicht vierzig Kinder sitzen auf dem Boden vor uns und nur eine unverständlich beschriebene Tafel zeugt davon, dass das eine Schule ist. Hungerbäuchig und mit gespannten Augen schauen uns die Kinder an. Die Lehrerin hat alle Mühe, Ruhe in die Aufregung zu bekommen. Dutzende dünne Arme recken sich nach uns, als wir beginnen, Zahnbürsten und Zahnpasten zu verteilen. Sicherlich sind Zahnbürste und -paste für die Kinder wie Spielzeuge, eine Errungenschaft um die sie sich schnell streiten. Aber als wir beginnen, das Zähneputzen an einem überdimensionalen Schaumodell zu demonstrieren, folgen sie gespannt unseren Bewegungen und machen diese schon bald eifrig nach.
Wir besuchen die Schule im Rahmen eines Hilfseinsatzes auf Madagaskar. Die NGO „Planet Action“ organisiert seit 2016 jedes Jahr mehrere zahnmedizinische Einsätze vorrangig in Madagaskar. Unser Team setzt sich aus fünf Studenten aus Freiburg (Marie-Louise Bloching, Samira Becker, Svenja Hornig und Tim Halstenbach) und Madrid (Jonathan Hofstetter), sowie Zahnärzten, die uns jeweils für zwei Wochen begleiten, zusammen und das Ziel ist es, zahnmedizinische Versorgung zu solchen Bevölkerungsanteilen zu bringen, die sonst keine Möglichkeiten haben, medizinisch behandelt zu werden. Madagaskar gehört zu den ärmsten Ländern der Welt und gerade in den ländlichen Regionen ist die Armut besonders prekär. Für viele Menschen stellt unser Besuch den ersten Kontakt mit einem Zahnarzt dar. Die Vorbereitungen zu diesem Einsatz begannen schon vor über einem Jahr. Spenden mussten gesammelt, Materialien gekauft und Arbeitsgenehmigungen organisiert werden. Der Verein Planet Action stützt sich ausschließlich auf die Arbeit von Freiwilligen und verfügt in Madagaskar über zwei Lager mit den wichtigsten zahnmedizinischen Instrumenten. Der Großteil der Verbrauchsmaterialien musste jedoch von uns besorgt und mit nach Madagaskar gebracht werden.
Die erste Hälfte unseres Einsatzes leisten wir Berenty, einem kleinen Dorf inmitten weiter Sisalfelder, ab. Begleitet werden wir von den drei Zahnärzten Michael Rumpf, Gerhard Ruppert und Andre Halstenbach. Es könnte eine Idylle sein: Unsere Behandlungsstation ist am Rande des kleinen Dorfes gelegen, Lemuren, die es mit den Madagascar-Filmen zu einiger Berühmtheit geschafft haben, sonnen sich auf dem rotgoldenen Sand und vor unserer provisorischen Praxis sitzen dutzende Menschen; farbenfroh gekleidet und mit ausdrucksstarken Gesichtern warten sie auf die Behandlung. Doch der Leidensdruck, den entzündete Zähne und kariöse Gebisse mit sich bringen, wird uns bereits bei unseren ersten Behandlungen bewusst. Da sitzen junge Menschen mit einer Vielzahl an zerstörten Zähnen. Den Schmerz, den sie dauerhaft erleiden müssen, können wir uns kaum vorstellen. Darüber hinaus können solche Zähne ernsthaft medizinische Folgen haben und zu lebensbedrohlichen Infektionen führen. Umso wichtiger ist unsere Arbeit hier, auch wenn sie sich fast ausschließlich auf Schmerztherapie mittels Zahnextraktion beschränkt.
In den zwei Wochen stehen uns zwei alte Behandlungsstühle zur Verfügung, von denen sich wenigstens einer in der Höhe verstellen lässt. Insgesamt ist unser Arbeiten aber von Improvisation geprägt. Wir behandeln auf einer alten Krankenliege oder gewöhnlichen Stühlen und Stirnlampen werden zu unserem wichtigsten Accessoire, ohne das wir nicht behandeln können. Eine kleine, selbstgebaute Absaugung leistet uns immer wieder große Dienste. Trotz aller Einschränkungen behandeln wir aber insgesamt etwa 500 Patienten, ziehen über 1300 Zähne und legen 200 Füllungen.
Nach drei Wochen verlassen uns die drei Zahnärzte und werden ersetzt durch Victoria Lang, Michaela Weber, Toralf Borgmann, Nikolaj Rinas und Friedhelm Hofstetter. Zusammen reisen wir weiter nach Tsihombe, wo wir die zweite Hälfte unseres Einsatzes verbringen werden. In einem Kloster inmitten der kleinen Stadt leben und behandeln wir und werden von den Nonnen stets gut umsorgt. Noch viel näher sind wir hier den Menschen und besuchen auch häufig den morgendlichen Gottesdienst, mit dem der Tag um 6.15 Uhr startet. Zu dieser Zeit öffnen die Tore des Klosters und unser Wartezimmer füllt sich schnell mit über 100 Patienten, welche teilweise die Nacht vor dem Kloster verbracht haben. Während sie warten beobachten unsere Patienten, wie Nikolaj unsere Materialien sterilisiert. Durch sein ständiges Engagement können wir Studenten und Zahnärzte uns ganz auf die Behandlungen konzentrieren und ziehen so an einem Tag fast 500 Zähne. Unsere Behandlungsräume verfügen lediglich über Tische und immer wieder müssen wir mit Stromausfällen zurechtkommen. Die einfachen Umstände betreffen ebenso unsere Unterkunft, doch wir sind erstaunt, wie schnell man sich an diesen Lebensstandard gewöhnt und am Ende der zwei Wochen genießen wir die Abendessen im Kerzenlicht.
Zurück in der Schule haben wir unsere letzten Bürsten und kleinen Spielzeuge verteilt und beginnen, uns auf den Rückweg zu machen. Aufgeregt laufen uns die Kinder noch eine ganze Weile hinterher, bis wir schließlich das Dorf verlassen haben. Für die Kleinen müssen wir eine Attraktion gewesen sein, doch gerade die Arbeit mit den Kindern, wird uns bewusst, ist wichtig, damit solche medizinischen Einsätze eine nachhaltige Wirkung haben.
Als wir nach den intensiven Wochen wieder heimkehren sind wir uns alle sicher, dass dies nicht unser letzter Einsatz war.
Wir bedanken uns bei allen, die unser Projekt durch, Geld- oder Sachspenden und stetige Unterstützung möglich gemacht haben.